Prismenbrille

Was hat es mit Winkelfehlsichtigkeit und Prismenbrillen auf sich?

Viele Probleme des Sehens entstehen durch nicht-ideale Zusammenarbeit der gesunden Augen. Dies wird auch umgangssprachlich "Winkelfehlsichtigkeit" genannt, der Fachbegriff lautet: Fixationsdisparität. 

Die Prismenbrille unterstützt das Augenpaar, das bestmögliche Gleichgewicht zu finden, und damit den Energieumsatz zu optimieren.

Eine prismatische Korrektion der Winkelfehlsichtigkeit setzt immer voraus, dass jede eventuell vorhandene astigmatische Fehlsichtigkeit ("Hornhautverkrümmung") und eine Kurz- oder Übersichtigkeit korrigiert worden ist. 

Die Prismenbrille bei Kindern ist für das Sehen in allen Entfernungen geeignet, also keine reine Nahbrille.

Was ist Winkelfehlsichtigkeit/ Fixationsdisparität?

Winkelfehlsichtigkeit ist ähnlich wie Kurz- oder Übersichtigkeit eine „Normvariante“ oder funktionelle Abweichung der gesunden Augen. Sie ist ein optischer Fehler der Bildlage: Beim Sehen mit beiden Augen findet die Abbildung meistens nicht exakt in der Netzhautmitte statt, sondern leicht neben der Stelle des optimalen Sehens. Beide Augen arbeiten dann nicht ideal zusammen und sind nicht genau auf das jeweils fixierte Objekt ausgerichtet. Je nach Seh-Anforderung bedeutet dies einen erhöhten Aufwand der Steuerung durch das Gehirn. Die am häufigsten beschriebenen Sehprobleme aufgrund dieser Normvariante sind: 

  • Anstrengung und schnelle Ermüdung bei anspruchsvollen Seh-Aufgaben wie z.B. am Computer, beim längeren Lesen oder beim nächtlichen Autofahren.
  • Kopfschmerzen, Schmerzen um die Augen herum.
  • Auslöser für Migräne.
  • Verstärkung von Verspannungen im Hals-, Nacken- und Schulterbereich.
  • Augenbrennen, tränende oder gerötete Augen.
  • Erhöhte Lichtempfindlichkeit.
  • Verstärkung von Problemen aufgrund einer Lese-Rechtschreibschwäche

Wie wird das korrigierende Prisma gemessen?

Eines der geeigneten Messverfahren wird MKH (Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase) genannt oder das Mallett Verfahren kommt zum Einsatz.
  Falls eine Verschiebung der Testteile wahrgenommen wird, werden Prismengläser zur Zentrierung verwendet. Die MKH oder Mallett werden von darin ausgebildeten Optometristen,  Augenoptikern und Augenärzten angewandt. 

Wenn man mit beiden Augen sieht, sorgt das Gehirn dafür, dass ständig die zwei Bilder zu einem verschmolzen werden. Die Abweichung vom Gleichgewicht der beiden Augen kommt erst dann zum Vorschein, wenn man dem rechten Auge ein anderes Bild anbietet als dem linken Auge. Beim Kreuztest sieht das eine Auge nur den senkrechten Teil, das andere den waagerechten Teil.


 Der Kreuztest, wenn beide Augen im Gleichgewicht sind


Abb.: Diese Abweichung zeigt z.B. eine Abweichung in der  Seite

Im Unterschied zu anderen Messverfahren wird bei der MKH mit normaler Raumhelligkeit und mit Sehbedingungen gearbeitet, die dem natürlichen Sehen sehr ähnlich sind. Eine Besonderheit ist die Verwendung von Stereo-Bildern, um die Fähigkeit, feinste Tiefenunterschiede zu erkennen zu prüfen und ggf. mit Prismengläsern zu optimieren. Die Messung findet in der Ferne und in der Nähe im normalen Leseabstand statt.

Werden die Augen “faul” oder schielt man mit Prismenbrillen?

Die Prismen werden nur dann verordnet, wenn das Augenpaar zu viel Anstrengung bei den normalen Sehaufgaben aufbringen muss. Mit Prismen werden einerseits die Augen entlastet, andererseits können sie dazu führen, dass Sehfunktionen wieder besser werden. Die Augenmuskeln sind so ausgelegt, dass dauerhaft eine hohe Leistungsfähigkeit verfügbar ist. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind sie aktiv ob eine Prismenbrille getragen wird oder nicht, daher kann von Faulwerden keine Rede sein.

Bei den selten vorkommenden großen Winkelfehlsichtigkeiten scheinen die Augen hinter der Prismenbrille tatsächlich zu 'schielen'. Dies ist jedoch kein echtes Schielen, sondern nur das Sichtbarwerden der großen Winkelfehlsichtigkeit, das nach Absetzen der Prismenbrille wieder verschwindet.

Große Abweichungen können aber – nicht zuletzt wegen der Dicke und des Gewichtes der Prismengläser – nach ausreichender Tragedauer der Prismenbrille operativ beseitigt werden (1).   Dies wird man jedoch nur empfehlen, wenn zuvor die Sehprobleme durch das Prismentragen eindeutig reduziert wurden. 

(1) Faltblatt der IVBV aus www.ivbs.org

Braucht jedes Kind, das Lese-Rechtschreibprobleme hat, eine Brille?

Sicher nicht! Die Brille kann vor allem im Zusammenhang mit anderen Hilfen (pädagogischer, therapeutischer oder anderer Art) eine sehr gute Unterstützung sein. Es aber wäre falsch, allein mit der besten optischen Korrektion zuviel zu erwarten.

Entscheidend ist die Frage, ob ein Kind mit dem Sehen Probleme hat. Diese lassen sich am besten von den Eltern oder vom Kind beobachten:
 z.B. beim Schreiben nicht in der Linie bleiben oder beim Ausmalen über die Umrandung malen; Ermüdung bei anspruchsvollen Seh-Aufgaben (Video- Spiele, Computer, TV...); kein freiwilliges Lesen; auffällige Kopfhaltung beim Lesen/ Schreiben; beim Lesen in die falsche Zeile rutschen ... (siehe auch Fragebogen )

In einer Verlaufsbeobachtung mit 141 Kindern hat sich herausgestellt, dass die Prismenbrille bei etwa 80% zu einer Verbesserung geführt hat. Insbesondere die anstrengungsbedingten Kopfschmerzen konnten meist in kurzer Zeit deutlich verringert werden. Näheres siehe:
www.legasthenie-info.de/studien.html

Sind keine der beschriebenen Seh-Probleme zu beobachten, ist aus meiner Erfahrung heraus die Brillen-Verordnung überflüssig. 

Warum sind die Prismenbrillen umstritten?

Es gibt verschiedene Messmethoden zur Ermittlung von Prismenstärken und verschiedene Lehrmeinungen zum Thema Binokularsehen (Sehen mit beiden Augen).  Als Kritik wird oft angeführt, dass Prismengläser extrem teuer seien. Der Preiszuschlag zu einem normalen Brillenglas beträgt ca. 25 EUR in den gängigsten Stärken und nur bei sehr hohen Werten bis ca. 90 EUR (Preisliste Zeiss, nicht mehr ganz aktuell: 2007).

Vor vielen Jahrzehnten war es noch sehr umstritten, ob eine Übersichtigkeit mit Brillengläsern auszugleichen sei, weil die Augen vielleicht "faul" werden könnten. Heute ist die Brillenkorrektion bei Übersichtigkeit gängige Methode.

Bei der Beurteilung, ob Prismen verordnet werden sollen, verhält es sich ähnlich und die Gegenargumente sind wieder die selben wie vor Jahrzehnten. Allerdings kommt eine weitere Besonderheit hinzu: Je nach verwendeter Mess-Methode können unterschiedliche Werte herauskommen.

Von vielen Augenoptikern im Deutschsprachigen Raum wird die MKH (Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase) angewandt, in Großbritannien das Mallett Verfahren. Aufgrund unterschiedlicher Lehrmeinungen und weil die Methoden relativ zeitaufwändig sind, werden sie von Fachärzten für Augenheilkunde kaum verwendet. 

Dass Prismenbrillen umstritten sind, liegt meines Erachtens häufig an der fehlenden Sach- und Praxiskenntnis der Kritiker. Es sind Studien zu den theoretischen Grundlagen  an der Uni-Augenklinik in Freiburg durchgeführt worden, bei denen Teile der Theorie der MKH sich nicht bestätigt haben. Aber es gibt neue Erkenntnisse zum Thema kleiner Prismenwerte und ob diese bei mehrwöchigem Tragen durch Adaptation "geschluckt" werden (eating prisms) oder ob sie wirksam sind. Unter meiner Leitung wurde dazu am Institut für Optometrie in CH-Olten in Zusammenarbeit mit der Uni Dortmund, Institut für Arbeitsphysiologie (IfADo) geforscht. Unter anderem wurde die objektive Fixationsdisparität mittels hochauflösender Eyetracking Verfahren gemessen. Ergebnis: Wir waren erstmals in der Lage , signifikante Effekte aufgrund mehrwöchigen Prismentragens auf die subjektive und objektive Fixationsdispartität nachzuweisen. Kleine Prismenbeträge sind effektiv, sie verringern die Fehlsstellung auch nach mehrwöchigem Tragen  und werden nicht einfach kompensiert. 

V. Schroth, R. Joos, and W. Jaschinski, "Effects of Prism Eyeglasses on Objective and Subjective Fixation Disparity," PLoS One, vol. 10, p. e0138871, 2015.

Dieser Artikel ist online verfügbar und kann per Klick (auf den Artikel-Quellenverweis) aufgerufen werden.